Der Aktionärsbrief 2024 von Amazon-CEO Andy Jassy: Warum Fragen und Innovation das Unternehmen antreiben

In seinem jährlichen Brief an die Aktionäre blickt Amazon-CEO Andy Jassy auf ein erfolgreiches Jahr 2024 zurück und erläutert, was das Unternehmen antreibt. Der Schlüssel zum anhaltenden Erfolg liegt laut Jassy in der „Warum-Kultur“ von Amazon – dem ständigen Hinterfragen des Status quo und der unermüdlichen Suche nach Innovationen zum Wohle der Kunden.

Starkes Wachstum in allen Geschäftsbereichen

Amazon konnte 2024 in allen Bereichen deutlich zulegen:

• Der Gesamtumsatz stieg um 11% auf 638 Milliarden Dollar
• Der Nordamerika-Umsatz wuchs um 10% auf 387 Milliarden Dollar
• International legte um 9% auf 143 Milliarden Dollar zu
• AWS verzeichnete ein Wachstum von 19% auf 108 Milliarden Dollar

Besonders beeindruckend ist die Entwicklung von AWS: Vor nur 10 Jahren lag der Umsatz der Cloud-Sparte bei 4,6 Milliarden Dollar – weniger als der heutige Quartalsumsatz.

Auch beim operativen Ergebnis konnte Amazon deutlich zulegen: Es stieg um 86% auf 68,6 Milliarden Dollar, was einer operativen Marge von 10,8% entspricht. Der bereinigte Free Cashflow verbesserte sich leicht von 35,5 auf 36,2 Milliarden Dollar.

Verbesserungen für Kunden in allen Bereichen

Jassy betont, dass Amazon 2024 das Leben seiner Kunden „bedeutend besser und einfacher“ gemacht habe. Im Einzelhandelsgeschäft wurde das Sortiment deutlich erweitert und die Preise weiter gesenkt. Laut einer unabhängigen Studie war Amazon zum achten Mal in Folge der günstigste Online-Händler in den USA. Zudem wurden Prime-Mitglieder so schnell beliefert wie nie zuvor.

AWS brachte zahlreiche neue KI-Dienste auf den Markt, darunter die neueste Generation eigener KI-Chips (Trainium2) und erweiterte Funktionen für maschinelles Lernen. Prime Video punktete mit erfolgreichen Serien wie „Fallout“ und „Reacher“ sowie Live-Sport-Übertragungen. Auch die Kindle-Gerätefamilie wurde mit neuen Modellen ausgebaut, was zu den höchsten Verkaufszahlen in einem Quartal seit über einem Jahrzehnt führte.

Die „Warum-Kultur“ als Erfolgsgeheimnis

Den Großteil seines Briefes widmet Jassy der Erläuterung, was Amazon im Innersten antreibt: die ständige Frage nach dem „Warum“. Diese „Warum-Kultur“ sei der Schlüssel zu Amazons anhaltender Innovationskraft.

„Wir fragen warum und warum nicht ständig“, schreibt Jassy. „Es hilft uns, Probleme zu zerlegen, zu den Ursachen vorzudringen, Hindernisse zu verstehen und Türen zu öffnen, die zuvor unüberwindbar schienen.“

Diese Denkweise habe Amazon seit seiner Gründung angetrieben:

• Warum können wir Kunden nicht jedes gedruckte Buch anbieten?
• Warum nicht auch vergriffene Bücher?
• Warum nicht jedes Buch in jeder Sprache innerhalb von 60 Sekunden auf einem handlichen Gerät (Kindle)?
• Warum sollten Rezensionen nur von „Experten“ kommen?
• Warum nicht mehr als nur Bücher anbieten?
• Warum nicht praktisch alles?
• Warum sollten wir die einzigen Verkäufer sein?

Jede dieser „Warum“-Fragen habe zu bedeutenden Innovationen geführt und das Leben der Kunden verbessert, so Jassy. Auch wenn einige dieser Ideen heute offensichtlich erscheinen mögen – zum damaligen Zeitpunkt seien es oft provokante Fragen gewesen, die Neugier, Risikobereitschaft und Ausdauer erfordert hätten.

Wie Amazon seine „Warum-Kultur“ fördert

Um diese Denkweise in der gesamten Organisation zu verankern, setzt Amazon auf verschiedene Strategien:

1. Führungsprinzipien als Leitlinien

Amazon hat 16 Führungsprinzipien, die das Verhalten der Mitarbeiter leiten sollen. Drei davon hebt Jassy besonders hervor:

• „Haben oft Recht“: Führungskräfte sollen ein gutes Urteilsvermögen haben, aber auch offen für andere Perspektiven sein und bereit, ihre Meinung zu ändern.
• „Lernen und neugierig sein“: Ständiges Lernen und Neugier auf neue Möglichkeiten sind entscheidend.
• „Rückgrat haben; widersprechen und sich verpflichten“: Mitarbeiter sind verpflichtet, respektvoll Entscheidungen in Frage zu stellen, mit denen sie nicht einverstanden sind. Sobald eine Entscheidung getroffen ist, müssen sich jedoch alle voll dafür einsetzen.

2. Arbeitsnormen, die das „Warum“ unterstützen

Amazon hat über die Jahre Arbeitsnormen entwickelt, die das kritische Hinterfragen fördern:

• Statt PowerPoint-Präsentationen werden sechsseitige Dokumente („Narratives“) verfasst, die tiefgreifende Analysen erfordern.
• Vor der Entwicklung neuer Dienste werden Pressemitteilungen und FAQs erstellt, um die Kundenperspektive in den Mittelpunkt zu stellen.
• Persönliche Meetings werden bevorzugt, da sie spontanere Diskussionen und bessere Ergebnisse ermöglichen.
• „Unordentliche“ Meetings werden toleriert, da Innovation nicht immer geradlinig verläuft.

3. Arbeiten wie ein Startup

Trotz seiner Größe versucht Amazon, wie ein Startup zu agieren:

• Fokus auf echte Kundenprobleme und bedeutende Verbesserungen
• Hoher Bedarf an „Buildern“ – Erfindern, die ständig Kundenerlebnisse hinterfragen
• Suche nach „Eigentümern“, die sich voll verantwortlich fühlen
• Geschwindigkeit hat oberste Priorität
• Bürokratie wird aktiv bekämpft
• „Scrappy“ sein – mit wenig Ressourcen viel erreichen
• Bereitschaft, kalkulierte Risiken einzugehen
• Fokus auf Ergebnisse für Kunden, nicht auf interne Politik

Aktuelle „Warum“-Fragen bei Amazon

Jassy gibt auch Einblicke in einige der großen Fragen, mit denen sich Amazon derzeit beschäftigt:

Warum ist KI so wichtig?

Jassy ist überzeugt, dass generative KI „praktisch jedes Kundenerlebnis, das wir kennen, neu erfinden und völlig neue ermöglichen wird“. Die Auswirkungen werden sich in den nächsten Jahren in allen Bereichen zeigen – von Produktivität und Kosteneffizienz über Programmierung und Suche bis hin zu Gesundheitsversorgung und Robotik.

Warum so schnell und umfangreich in KI investieren?

Amazon entwickelt über 1.000 generative KI-Anwendungen in allen Geschäftsbereichen. Jassy betont: „Wenn man daran glaubt, dass jedes Kundenerlebnis durch KI neu erfunden wird, muss man tief und breit in KI investieren.“ Die hohen Investitionen seien gerechtfertigt, da KI „eine einmalige Neuerfindung von allem, was wir kennen“ darstelle.

Warum müssen KI-Chips so teuer sein?

Jassy kündigt an, dass KI in Zukunft deutlich günstiger werden wird. Amazon arbeitet an effizienteren Chips und Technologien, um die Kosten zu senken und KI für Kunden erschwinglicher zu machen.

Warum haben sich persönliche Assistenten bisher nicht durchgesetzt?

Mit Alexa+ will Amazon erstmals einen digitalen Assistenten anbieten, der sowohl intelligent ist als auch echte Aktionen für Nutzer ausführen kann. Jassy sieht darin einen „Game-Changer für Verbraucher“.

Warum können wir Artikel nicht noch schneller liefern?

Amazon arbeitet kontinuierlich daran, Lieferzeiten weiter zu verkürzen. Daten zeigen, dass schnellere Lieferungen zu deutlich höheren Konversionsraten und häufigeren Einkäufen führen. Jassy kündigt weitere Innovationen in diesem Bereich an, einschließlich der Ausweitung von Prime Air Drohnenlieferungen.

Warum können Menschen in Kleinstädten nicht die gleichen schnellen Lieferungen genießen?

Im Gegensatz zu Wettbewerbern, die sich aus ländlichen Gebieten zurückziehen, investiert Amazon in den Ausbau schneller Lieferoptionen für Kunden in kleineren Städten und Gemeinden.

Warum muss das Gesundheitswesen so stressig sein?

Mit Amazon Pharmacy und One Medical will Amazon die Gesundheitsversorgung einfacher und transparenter gestalten. Erste Erfolge zeigen sich in der positiven Kundenresonanz und dem Wachstum dieser Dienste.

Fazit: Eine Kultur des ständigen Hinterfragens

Jassy schließt seinen Brief mit der Erklärung, warum er selbst nach fast 28 Jahren noch bei Amazon ist: „Ich bin offensichtlich ein Superfan, aber es gibt mehrere überzeugende Gründe, bei Amazon zu arbeiten.“

Er hebt besonders die konsequente Kundenorientierung, die Möglichkeit, die Welt zu verändern, die langfristigen Investitionen in Innovationen und Menschen sowie das außergewöhnliche Team hervor.

„Für Builder, die die Welt verändern wollen und Feuer im Bauch haben, gibt es keinen besseren Ort als Amazon“, so Jassy. Die „Warum-Kultur“ des Unternehmens sorge dafür, dass Amazon weiterhin wie das „größte Startup der Welt“ agiere – ständig bereit, den Status quo in Frage zu stellen und Neues zu wagen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)